„Inner Frame“ oder Gedichte an die Dauer Zu Bildern von Peter Uka Ein Essay von Heinz-Norbert Jocks Zu Besuch bei Peter Uka in seinem lichtdurchfluteten Atelier mit weitem Ausblick, wie man ihn in Köln kaum vermutet. Vor uns neben vollendeten Gemälden auch Leinwände, auf denen Figuren und Dinge mit schwarzer Farbe vorskizziert sind, die darauf warten, mit Farben belebt und verlebendigt zu werden. Bereits die Skizzen mit Umrisslinien, die beispielsweise die Rückenansicht eines Mannes zeigen, der eine mit Bambusstäben beladene Schubkarre über die Straße schiebt, während rechts vor ihm eine Passantin auf dem Trottoir schreitet und weiter hinten ein Auto fährt, weisen eine innere Spannung auf, welche die energetische Atmosphäre des Bildes nach seiner Fertigstellung vorausahnen lässt. Dazu gibt es ein schwarzweißes Foto, dessen er sich als Ausgangspunkt bedient. Auf einer anderen Skizze ein junger Barbier mit Bart bei der Arbeit, dessen Blick voll und ganz auf seine alltägliche Tätigkeit konzentriert ist. Das temporäre Von-Angesicht-zu-Angesicht zwischen dem Barbier und seinem Kunden zeugt von den wahren Minuten einer starken Intensität. Alles in allem ein „Gedicht an die Dauer“ im Sinne von Peter Handke, welches die Aufmerksamkeit auf eine alltägliche Handlung lenkt, die sich sowohl von Tag zu Tag als auch von Jahr zu Jahr, also seit jeher wiederholt. Ein weiteres Bild befindet sich in einem Zwischenzustand. Die ersten Flächen sind bereits mit üppigen Farben angereichert. Die Wand, vor der zwei junge Männer, beide auf bemusterten Sitzpolster sich gegenübersitzend, sich so vertraut wie intensiv in die Augen blicken und sich dabei die Hand in so inniglicher Verbundenheit halten, als würden sie sich gerade das Versprechen einer langwährenden Freundschaft geben, sowie das Fernsehgerät, das auf den sozialen Status verweist, und dazu die darauf abgestellte, kleine Fotografie, auf der ein Mann im Anzug abgebildet ist, der seine Frau küsst, sind bereits kontrastreich in satte Farben getaucht. Die Wand im Hintergrund leuchtet feurig rot, während die Farben des Fernsehers und des daraufgestellten, rahmenlosen Fotos zwischen Grau und Braun changieren. Angesichts des Bildes die Impression, dass Uka eine inhaltliche Verbindung zwischen der kleinen Fotografie aus dem Erinnerungsalbum und der intimen Szene zwischen den Männern aufblitzen lassen will. Nachfragend, wer auf dem Foto abgebildet ist, erfahren wir, dass es sich dabei um die Eltern eines Freundes des Malers handelt, während die beiden Männer dem reichen Fundus der Fantasie des Malers entsprungen sind und ihren Auftritt als referenzlose Modelle haben. Obwohl sie hier als Stellvertreter für die Menschen seiner Heimat fungieren, vermitteln sie den Eindruck, als empfände Uka zu ihnen eine gewisse Nähe wie die zu engen Freunden aus früher Zeit oder als spielten sie für die Geschichte seines bisherigen Lebens eine so signifikante wie unverzichtbare Rolle. Dass es uns so vorkommt, als würde Uka die Personen bestens kennen, hat wohl damit zu tun, dass er sie in eine privat aufgeladene Situation versetzt hat. Die Szene, so kombiniert, dass sie wie das Sinnbild für das beständige Wesen von Freundschaft erscheint, gibt zwar nur einen kurzen Augenblick wieder. Dieser wirkt aber aufgrund der ungeheuren Intensität wie herausgerissen oder herausgehoben aus dem Einerlei eines ganz normalen Tages, weil er, von essentieller und zeitloser Bedeutung, über die kurze Zeitspanne weit hinausreicht. Die Geste des Handhaltens steht in dem Fall für die Loyalität zwischen zwei Männern. Folglich impliziert der vergehende Moment, von Uka für immer verewigt, die sich gegenseitig versicherte, gemeinsame Zukunft einer Freundschaft. Die Szene wirkt wie ein Ritual. Die subtile Art und Weise, wie der Maler das Bild aufbaut, lässt den Schluss zu, dass diese imaginierte Realität, wie eine Montage aus verschiedenen Momenten zusammengesetzt, mehr eine innere Wirklichkeit verkörpert, die aber als äußere erscheint. Auf dem Tisch, der vor dem Bild mit den beiden Jungen steht, ein heilloses Durcheinander aus allerlei Zeug wie Farbtuben, Pinsel, Zeitungsausschnitte und diverse Fotografien, auf die Uka als Vorlagen zurückgreift, um bestimmte Aspekte eines Bildes zu präzisieren, zu konkretisieren und zu verdichten. Darunter die Aufnahme einer Nigerianerin in farbenfroher, traditioneller Tracht, deren Ansicht ihm dabei hilft, das Typische und Markante der äußeren Erscheinung von Frauen seiner Heimat nachzugestalten, sowie das Schwarzweißfoto von drei glücklich dreinschauenden Frauen. Eine mit Kopfbedeckung sitzt auf einem Sessel, während eine jüngere dahinter auf einer Kommode mit einem alten Fernsehgerät hockt. Hinter den beiden eine weitere, deren linke Hand den Oberarm der Sitzenden berührt und deren rechte Hand auf der Schulter des jungen Mädchens ruht. Die Blicke, die Gesten, die Haltungen und die Berührungen sind zwar gestellt, und dennoch spüren wir die innere Verbundenheit zwischen denen, die da fröhlich vor der Kamera posieren. Dass es Uka ganz und gar nicht darauf ankommt, die Fotografien Eins zu Eins in Malerei zu übersetzen, und dass er keinen großen Wert auf dokumentarische Realitätstreue legt, sondern bestimmte Situationen gemäß seiner Erinnerung mittels einer wohltemperierten Malerei subjektivieren will, mit der er sich eine Welt zurechtimaginiert, wird evident, wenn wir das auf der Basis dieser Aufnahme ausgeführte Gemälde zum Vergleich heranziehen. Im Gegensatz zur schwarzweißen Vorlage erscheint dieses in leuchtenden Farben. Da das Gerät aus der Zeit des Schwarzweißfernsehens stammt, kommt uns die Idee, der Maler vollziehe hier nicht nur den plötzlichen Übergang von Schwarzweiß in Farbe, sondern auch einen lockeren Zeitsprung ins volle Jetzt, der gleichbedeutend ist mit der Veranschaulichung und Vergegenwärtigung der ewigen Erinnerung an die Vergangenheit, die für ihn nicht tot und auch nicht vergangen zu sein scheint. Auffallend auch, dass von den drei Frauen auf der Fotografie nur zwei auf dem Gemälde wiederzufinden sind. Der Grund dafür ist unter anderem der, dass Uka sich nicht zu Hundertprozent und haargenau an der Vorlage klammert. Vielmehr benutzt er diese als Tool der Orientierung, um sein Erinnerungsvermögen zu mobilisieren. Wie der französische Romancier Marcel Proust kristallisiert er etwas für ihn Essentielles heraus, und dieses betrifft die Koinzidenz zwischen dem, was er uns sehen lässt, und dem, was sich ihm insbesondere in seiner Erinnerung als etwas Bezeichnendes eingeprägt hat. Ja, er transzendiert den dokumentarischen Charakter, welcher der fotografischen Aufnahme eigen ist, und begibt sich in Anlehnung an diese auf die Suche nach der inneren Substanz der in ihm wahre Empfindungen auslösenden Bilder, die er aus dem Tiefen des Unbewussten ans Licht reiner Farben befördern will. Genau hier tritt der feine Unterschied zwischen Fotografie und Malerei auf markante Weise zutage. Malen erweist sich dabei als eine besondere Form des „Wahrlügens“ (Louis Aragon). Auf dem Foto sind zwei seiner Tanten mit einer Nichte zu sehen. In dem Gemälde hat er diese bewusst ausgespart und nur die Tanten festgehalten. Und zwar deshalb, weil es ihm vornehmlich um die freiassoziative Rekonstruktion seiner Erinnerungen an jene Familienangehörige geht, die ihm etwas bedeuten und mit denen er ihn prägende Erlebnisse verbindet. Über die Ansicht der beiden Frauen stellt er im Grunde genommen einen Kontakt zu der verlorenen Zeit und dem verlassenen Land seiner Geburt her, welches er uns anschaulich vor Augen führt, und schlägt eine Brücke zwischen dem Hier und dem Dort ebenso wie zwischen und dem Jetzt und dem Gestern. Ebenso subtil gelingt ihm dies mit einem großformatigen Straßenbild, auf dem die Fassade eines gelben Hauses mit einem überdachten, schattenbietenden Zwischenraum zu erkennen ist, der durch eine Holzwand von der Straße abgeschirmt ist. Im Hintergrund erblicken wir einen Schrank und ein Regal und im Vordergrund, zur Straße hin, zwei junge Männer. Einer von ihnen, der ein rotes, kurzärmeliges Hemd trägt, lehnt sich zur Straße hinaus. Die Sicht auf das Gesicht des Anderen im grünen Shirt wird hingegen von dem Kopf einer auf der Straße vorbeilaufenden Frau verdeckt. So, dass deren Körper ineinander übergehen und verschmelzen. Auf einem Plastikstuhl vor der hölzernen Trennwand zwischen Innen- und Außenraum sitzt ein Straßenhändler, der gerade Orangen an einem Mann verkauft. Links von ihm ein grüner Kombi mit geöffneter Hecktür, aus der eine verpackte und verschnürte Ladung mit Waren ragt. Von rechts kommend ein Mann in roter Hose mit Schlag, dessen Blick auf die ihm entgegenkommende Frau gerichtet ist. Was uns wie eine ganz alltägliche Szene auf den belebten Straßen von Nigeria erscheint, ist das Ergebnis einer Suche nach den verlorenen Ansichten vom alltäglichen Leben. Dieser verleiht Uka eine visuelle Erscheinung, die nicht nur das Typische, Allzu-Typische wiedergibt. Vielmehr erkundet oder erschließt er mit ihr den essentiellen Kern erinnerter Wahrnehmungen und deren nachhaltiges Echo. Bei den jüngsten Bildern, die Uka für die Ausstellung mit dem Titel „Inner Frame“ konzipiert hat, handelt es sich also keineswegs um Doubles, die er nach entweder selbstgemachten oder von Freunden zugeschickten Fotografien gemalt hat, vielmehr um das allmähliche Herausdestillieren der tief in seinem Gedächtnis vergrabenen Wahrnehmungsessenzen noch aus der Zeit vor seinem frühen Abschied von Nigeria im Jahre 2007. Letztendlich will er an das heran, was Fotografien verbergen, weil diese doch immer nur die Oberfläche der Dinge streifen. Wenn er diese betrachtet, so schwingt da etwas Pathetisches mit. Ja, als Melancholiker, der die ferne Welt von damals mit dem inneren Auge heranzoomt, malt er Bilder aus der Sommerfrische der Vergangenheit so, als hätten sie eine feste Konsistenz und volle Gegenwärtigkeit. Diese sind frei nach der Erinnerung gemalt und von einem Willen zur klaren Komposition geprägt, also nicht derart authentisch, dass sie die verlorene Zeit und ihre Erscheinungen exakt so einzufangen und zu dokumentieren beabsichtigen, wie sie einmal waren oder immer noch sind. Was Uka anstrebt, ist der Gewinn einer Illusion von Ewigkeit anhand der Gesten und Haltungen von bekannten und unbekannten Menschen, die ihm in Gedächtnis geblieben sind. Danach befragt, was der Anstoß zu diesem glanzvollen Rückblick war, erzählt Uka von der plötzlichen Irritation, die er bei Telefonaten mit Freunden, seiner Schwester und seinem Bruder erlebt hat. Dabei erfuhr er, dass vieles von dem, was er erinnert, verschwunden ist, und einige der Menschen, die er einst kannte, inzwischen gestorben sind. Als wolle er die virtuellen Innenbilder vor dem endgültigen Vergessen retten, projiziert er diese wie ein Zauberer auf die Leinwand. So auch das Porträt einer Frau mit Hut in weißem Kleid auf einem grünen Sofa vor einer blauen Wand. Neben ihr die erste, 1988 erschienene Novelle „Nervous conditions“ der aus Simbabwe stammenden schwarzen Schriftstellerin Tsitsi Dangarembga auf dem Polster. Indem Uka ihr dieses Buch, das er selbst gerade liest, symbolisch in die Hände drückt, schlägt er einen Bogen zwischen seiner derzeitigen Auseinandersetzung mit einer von vielen afrikanischen Kulturen und der Zeit, da er noch nicht in Europa angekommen war. Auch dieses Bildnis einer Unbekannten ohne direkten Referenten, welches eine Verbindung zwischen dem jetzt Lesenden und dem Erinnernden schafft, zeichnet sich durch die schöne Frische seiner Gegenwärtigkeit aus. Wie ein Archäologe, der als Sechszehnjähriger seine Heimatstadt für ein Studium in Lagos verließ, dann vor 13 Jahren nach Deutschland kam, um an der Kunstakademie in Düsseldorf zu studieren, beackert der nun 45-jährige Uka die weiten Landschaften seiner Erinnerungen. Gleichzeitig beglückt er uns Betrachter mit einer imaginären Reise ohne Scheuklappen in ein afrikanisches Land mit seinen Lebensformen und seiner Kultur und zu einem Kontinent außerhalb unseres westlichen Blickfeldes an der Seite eines passionierten Insiders, der im Herzen zwischen westlichen und afrikanischen Kulturen oszilliert. Davon zeugt auch das Gruppenbild mit den beiden Frauen und dem Mann, zusammensitzend in der Nähe einer offenen Feuerstelle mit großer Pfanne, wie sie in Nigeria zum Kochen verwendet wird. Dass Uka seine Bilder komponiert und keine Neigung zum Dokumentarischen verspürt, hat nicht nur damit zu tun, dass er Künstler ist, der kreiert, was so nicht existiert, aber den Anschein erweckt, als würde es existieren, sondern auch mit seinem tiefen Misstrauen gegenüber der Authentizität der Erinnerung. Die Beschäftigung mit der Erinnerung hat ihn gelehrt, dass sich uns eher Gesten und Haltungen einprägen und dass die Erinnerung gleichzeitig trügerisch und wahr ist. Auch deshalb setzt er die Farben zum einen entsprechend seinen durch die Erinnerung ausgelösten Gefühlen. Zum anderen ordnet er sie der Logik der artifiziellen Komposition unter. Alles in allem ist er ein in Farbe verliebter Imaginär, der signifikante Bilder parallel zur Erinnerung fingiert und damit deren Punktum inszeniert.
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